HZ v. 27.Juno 2022
Münzinghof – „Der Münzinghof soll Heimat sein“ – mit diesen
Worten, die gleichsam das Credo der Dorfgemeinschaft
Münzinghof repräsentieren, begrüßte Geschäftsleiter Michael
Taubmann eine große Schar interessierter Mitglieder der
Hersbrucker Altstadtfreunde. Bei bestem Wetter erhielten die
Teilnehmenden einen Rundgang über das eindrucksvolle
Dorfgelände, um die Geschichte, den Lebensalltag und das
lebendige Miteinander der Münzinghofer kennenzulernen.
Im Dorf Münzinghof, das westlich der Stadt Velden inmitten von Wald und
Wiesen liegt, leben und arbeiten heute etwa 150 Menschen mit und ohne
Unterstützungsbedarf zusammen. Ihren Anfang nahm die Einrichtung der
Eingliederungshilfe für Menschen mit Be-hinderung im Jahr 1978, als sich
16 Mitglieder der Lebensgemeinschaft e.V. erstmals im Ort niederließen. Was
damals mit dem Kauf eines Hofes in einem kleinen Weiler begann,
entwickelte sich innerhalb von nur einer Generation zu einem
selbstverwalteten Gemeindeteil und dem größten Arbeitgeber Veldens.
Der Münzinghof versteht sich jedoch nicht nur als soziale Einrichtung,
sondern als bunte Dorfgemeinschaft, die ihren Alltag aktiv miteinander
gestaltet. Zum Dorf selbst gehören daher außer Wohnhäusern auch mehrere
Werkstatt- und Landwirtschaftsgebäude, in denen tatkräftig mit angepackt
wird. Denn jeder und jede soll und darf sich hier nach seinen eigenen
Fähigkeiten einbringen. Für die Altstadtfreunde gab es bei ihrem etwa
zweistündigen Rundgang also reichlich zu entdecken.
Als Startpunkt der Führung diente das vor wenigen Jahren errichtete
Bushäuschen, das Michael Taubmann als wichtige Errungenschaft
präsentierte: „Der Münzinghof ist jetzt an das öffentliche Busnetz
angebunden, was den Bewohnern und Mitarbeitenden größere Mobilität
ermöglicht.“ Allerdings sei der Fahrplan noch ausbaufähig, besuche der Bus
die Haltestelle doch vorerst nur einmal pro Woche.
Vorbei am dorfeigenen Kiosk, an dem die Bewohner allerlei Nützliches
kaufen und zugleich den Umgang mit Geld erlernen können, führte der
Rundgang anschließend zum 2011 errichteten „Haus am Garten“. Das
Gebäude wurde speziell für die Menschen geplant, die ihren Lebensabend
auf dem Münzinghof verbringen werden. Barrierefreiheit und eine
seniorengerechte Einrichtung wurden daher ebenso berücksichtigt wie eine
ökologische und nachhaltige Bauweise. Als „Passivhaus“ passt es damit
bestens in das kommunale Konzept der Einrichtung, die dem nachhaltigen
und ressourcenschonenden Umgang mit der Natur einen hohen Stellenwert
beimisst.
Dieser Ansatz spiegelt sich auch im ortsweiten Energiemanagement wider:
Photovoltaikanlagen sind mit einem Blockheizkraftwerk und einer
Hackschnitzelanlage kombiniert, um Strom und Wärme für das gesamte
Dorf zu erzeugen. Da sämtliche Gebäude mit Glasfaserkabeln vernetzt sind,
lässt sich die erzeugte Energie ideal nutzen und verteilen. So können sich die
großen Kühlkammern automatisch abstellen, während die Waschmaschinen
im Dorf auf Hochtouren laufen. Darüber hinaus besitzt der Münzinghof eine
eigene Schilfkläranlage, die das tägliche Abwasser aufbereitet.
Beeindruckt von den innovativen Lösungsansätzen, die 2014 sogar mit dem
Umweltpreis der Bayerischen Landesstiftung ausgezeichnet wurden, zogen
die Vereinsmitglieder weiter in Richtung „Oberdorf“. Dort stehen, oberhalb
des alten Ortskerns, weitere vier der insgesamt acht Wohnhäuser, in denen
die Münzinghofer in Wahlfamilien oder Wohngemeinschaften
zusammenleben. Bei der Verteilung der Wohnplätze stehen die individuellen
Bedürfnisse der Bewohner im Fokus: Jeder und jede darf frei entscheiden,
wo, wie und mit wem der private Alltag geteilt wird. Besondere Highlights
bilden die jahreszeitlichen Feste Johanni, Michaeli, Ostern, Pfingsten und
Weihnachten, die jedes Jahr mit der gesamten Dorfgemeinschaft gefeiert
werden.
Neun Arbeitsbereiche
Außerhalb
des Wohnens wird die Möglichkeit, aktiv zu werden und an der
Gemeinschaft teilzuhaben, auch durch das breite Arbeitsangebot
verwirklicht. Neun eigenständige Arbeitsbereiche vereinigen sich unter
dem Dach einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM).
Die Werkstattgebäude befinden sich vor allem im Süden des Dorfes und
wurden mehrheitlich in den 90er Jahren errichtet. Taubmann führte die
Altstadtfreunde zunächst in die Metallwerkstatt, wo die Gruppe über die
große Vielfalt der dort gefertigten Produkte staunte. Von metallenen
Treppen, Balkonen, Vordächern über Waldsofas bis hin zu Triangeln und
Röhrenglocken wird alles im Münzinghof produziert und sogar weltweit
vertrieben. Nur wenige Meter nebenan ist die Taschen-Werkstatt
untergebracht, in der praktische Mehrzweck-Taschen aus Kunststoff in
allen denkbaren Farben und Motiven in Handarbeit gefertigt werden. Nach
einem kurzen Shopping Bummel ging es weiter zur Holzwerkstatt, in der
die MitarbeiterInnen nachhaltig erwirtschaftetes Holz aus dem eigenen
Wald zu Möbeln, Gebrauchsgegenständen und sogar kompostierbaren
Plumpsklos – dem neuesten „Renner“ auf Festivals – verarbeiten. In der
nahe gelegenen Kerzenwerkstatt finden Menschen ihren Wirkungsort, die
einen höheren Unterstützungsbedarf haben. In ihrem eigenen Tempo können
sie hier etwas Schönes und Nützliches entstehen lassen und zugleich die
eigenen Sinne und motorischen Fähigkeiten fördern. Ein weiteres
Tätigkeitsfeld der Münzinghofer, die mit ihren Produkten inzwischen
einen jährlichen Umsatz von eine Million Euro erwirtschaften, ist die
Landwirtschaft. Auf einer Fläche von rund 120 Hektar werden Linsen,
Getreide, Gemüse und Kräuter in biologisch-dynamischer Weise angebaut
und 75 Milchkühe, Kälber und Rinder sowie 25 Schweine nach demeter
Richtlinien gehalten. In der dorfeigenen Bäcker- und Käserei werden
Milch und Getreide dann auch zu regionalen Köstlichkeiten
weiterverarbeitet. Die Chance auf eine kleine Kostprobe ließen sich die
Altstadtfreunde freilich nicht nehmen und stellten sich emsig vor dem
„Hof'o'mat“ in Schlange. Nach der kurzen Verköstigungspause kam die
Runde noch einmal im großen Saal der Dorfgemeinschaft zusammen, wo
Taubmann auf die Freizeitaktivitäten am Münzinghof einging. Monatliche
Konzerte und Kinoabende sowie sportliche Betätigungen wie Tanzen, Yoga,
Schwimmen oder Zumba sorgen für ein abwechslungsreiches Programm. Auch
die jüngsten Erfolge der Münzinghofer Stockschützen wurden vorgestellt,
die 2020 Gold, Silber und Bronze bei den Bayerischen Special Olympics
in Berchtesgaden gewannen. Beeindruckt von der Münzinghofer Lebenswelt
und um viele Denkanstöße reicher, machten sich die Altstadtfreunde
anschließend auf den Heimweg. Das inklusive Konzept und der innovative
Einsatz für Nachhaltigkeit und ökologisches Wirtschaften machen den
Münzinghof zu einem überaus lebenswertem Ort, an dem selbst bei
Besuchern Heimatgefühle aufkommen – ganz gemäß dem Credo der
Dorfgemeinschaft.
Madlen Gulitsch