Montag, 27. Februar 2006
Architektur zweitrangig

Altstadtfreunde-Vorsitzender zum Scheindel-Areal

HERSBRUCK - In seinem Neujahrsrundschreiben an die Mitglieder kommentiert der Vorsitzende der Hersbrucker Altstadtfreunde, Christian Breu, ein lokales und ein bayerisches Ereignis: den Baubeginn auf dem Scheindel-Areal und den Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall:

Baubeginn auf dem Scheindel--Areal: Es ist sicher grundsätzlich gut, dass die baufälligen Lagerhallen abgerissen werden und etwas Neues entsteht. Es ist aber auch grundsätzlich klar: Ein großer Parkplatz mit Supermarkt im mittlerweile für diese Nutzung standardmäßigen Baustil mit flach geneigtem Satteldach kann kein Schmuckstück werden.

Daran ändern auch die Gebäude an Ostrand des Geländes nichts, die ebenfalls überproportioniert erscheinen. Daran ändert auch der Versuch nichts, ein 22-Grad-Dach mit Betondachsteinen als „fränkisch“ zu bezeichnen — dazu braucht man etwa 52 Grad Neigung. Und daran ändert auch der Wunschgedanke nichts, dieser Supermarkt würde dem Einzelhandel viel Kundschaft bescheren.

Doch aus welchen Gründen hätte der Zeit(un)geist um das Scheindel-Areal einen Bogen machen sollen? Wir schimpfen über jeden neuen Einkaufsmarkt, aber offensichtlich kann es sich diese Branche dank unseres Einkaufsverhaltens leisten, ein innerstädtisches Areal zuzubauen. Und beim „Superschnäppchen‘ und „10 Prozent auf Alles“ mit „Geiz ist geil“ ist die Architektur zweitrangig ein Einkauf smarkt ist nun mal ein Gewerbezweckbau, so wie es die Lager-und Produktionshallen der Firma Scheindel auch waren.

Zum Halleneinsturz in Bad Rei-chenhall: Die Hallenkonstruktion war noch nicht mal 40 Jahre alt und infolge verschiedener Mängel in Verbindung mit der Schneelast bereits nicht mehr standsicher. Und zwar nicht nur rechnerisch, sondern tatsächlich.

Historische Bauten haben häufig noch viel gravierendere Mängel. Doch bis eine Fachwerkscheune oder der Dachstuhl eines Bürgerhauses einstürzt, betritt vorher sowieso keiner mehr freiwillig das Gebäude, denn da wird die Einsturzgefahr für jeden sichtbar. Wir staunen bei Sanierungsarbeiten oft, dass manches alte Gebäude noch steht. Da sind dicke Balken durchgemorscht, wichtige Konstruktionsteile wurden im Lauf der Zeit entfernt, der Holzwurm knabbert überall, manches wurde auch früher schon beim Bauen „hingemurkst‘, und dann wurde das Ganze noch irgendwann tüchtig „modernisiert“ und es steht doch! Rechnerisch zwar schon lange nicht mehr, aber tatsächlich. In der Fachsprache nennt man so was „Fehlertoleranz“.

Diese Toleranz gegenüber Fehlern wird um so kleiner, je komplizierter das Bauwerk ist. Darum stürzt ein modernes Hallendach vielleicht wegen eines Wasserschadens ein und das 200 Jahre alte Scheunendach biegt sich lediglich etwas durch. Das ist so faszinierend an alter Bausubstanz.
 

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